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Archiv Juli Zehs Roman passt nahtlos in die Diskussion um eine bezahlbare Gesundheitsreform und eine Patientenbehandlung nach Priorität. Bei Zeh allerdings entartet die Reform zu einer fiktiven Diktatur, die dem Bürger gar die Kontrolle der Bakterienkonzentration im Haushalt abverlangt. Der Eröffnungszug in Juli Zehs neuem Roman ist nicht ohne Delikatesse. Das Buch beginnt nämlich mit einem fiktiven Zitat, angeblich stammt es aus einem in 25. Auflage erschienenen Werk "Gesundheit als Prinzip staatlicher Legitimation", als Verfasser wird ein gewisser Heinrich Kramer angegeben, der später auch als Figur im Roman auftritt. "Der gesunde Mensch fühlt sich frisch und leistungsfähig", heißt es da. Gesundheit als prinzip staatlicher legitimation online. "Er besitzt optimistisches Rüstungsvertrauen, geistige Kraft und ein stabiles Seelenleben. " Dagegen ist wenig einzuwenden, und selbst der verschärfte letzte Satz des Zitats ist nicht indiskutabel: "Ein Mensch, der nicht nach Gesundheit strebt, wird nicht krank, sondern ist es schon. " Vermutlich soll das verführerisch klingen, denn in Zehs Roman "Corpus Delicti" geht es um eine Gesundheitsdiktatur in der Mitte des 21. Jahrhunderts.

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Buchstäblich. Die drastisch ausgemalten Reaktionen des Staates sollten selbst nachgelesen werden: Festnahme als Staatsfeindin, fingierte Beweise und erpresste Zeugenaussagen sowie Folterung sind schwer erträglich. Auch der abschließende Gerichtsprozess, bei dem Mia zu einer Art Todesstrafe verurteilt wird, sowie die Vorbereitungen zur Vollstreckung des Urteils stellen empfindsamere Rezipienten auf harte Proben: Warum muss das so passieren? Was läuft da schief? Schablonen als Figuren Man ist überrascht, wie viel von Erfassungs- und Kontrollmaßnahmen bis zu Hygienevorschriften und Denunziantentum von dem dabei ist, was gegenwärtig geschieht oder angedacht wird. Allerdings lebt die mit wenigen Zwischentönen und Nuancen ausgemalte Dystopie des Jahres 2043 von Überspitzungen und Komplexitätsreduktionen, die bis zur Verwandlung von Figuren in Schablonen reichen. Literatur ǀ Was läuft hier schief? — der Freitag. So heißt die omnipräsente Zeitung "DER GESUNDE MENSCHENVERSTAND". Zugleich führen Textspuren in tiefere Vergangenheitsschichten. Der smarte Methodist Heinrich Kramer trägt den Namen des Verfassers des frühneuzeitlichen Hexenhammers.

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Die Literaturgeschichte ist an Juristen nicht eben arm. Das abgeschlossene Studium der Rechtswissenschaft deshalb als Propädeutikum der Schriftstellerei zu sehen, wäre dennoch etwas übertrieben. Denn für gewöhnlich wendet sich der studiosus iuris fiktionalen Texten zu, weil ihm die des Gesetzes zu öde sind. Juli Zeh, deren Stück »Corpus Delicti« am 15. September im Rahmen der RuhrTriennale uraufgeführt wird, hat noch vor ihrem Diplom am Deutschen Literaturinstitut Leipzig ein Jura-Studium zu Ende gebracht, als Beste des 1998er Jahrgangs in Sachsen. Forum: Gesundheit als Prinzip staatlicher Legitimation. Eine völkerrechtliche Promotion soll in Arbeit sein; und obwohl sie sich eigenem Bekunden nach »aus Rebellion gegen das gehassliebte, irgendwie doch zu bürgerliche Erststudium« für ihre zweite Studienkarriere entschieden hat, würde die Rede vom juristischen »Brotberuf« die Sache wohl nur unzureichend treffen. Nun wäre das alles nicht weiter erwähnenswert, wenn die 1974 in Bonn Geborene nicht immer mal wieder Ausflüge in rechtsphilosophische und im weitesten Sinne juristische Regionen unternehmen würde.

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So befasst sich die Literatur der Gegenwart beispielsweise mit dem Wandel von Arbeitswelten, mit Flucht und Migration und mit den Institutionen staatlichen Handelns. Viele Romane der letzten Jahre werden wir wohl nach Corona neu lesen und bewerten; auch dadurch könnte die Pandemie selbst eine Zäsur bilden. Gesundheit als prinzip staatlicher legitimation 1. Mit "Corpus Delicti" entwirft die Autorin eine zukünftige Gesundheitsdiktatur, die ihren Bürgerinnen und Bürgern durch ihr System, genannt die "Methode", Gesundheit und Sicherheit garantiert. Doch geht diese Garantie zu Lasten der individuellen Freiheit. Sport, gesunde Ernährung und Prävention gehören ebenso verpflichtend zum Alltag wie das Reinigen und Desinfizieren der Wohnung und die regelmäßige Abgabe körperlicher Messdaten. Jeder Schritt wird mittels eines implantierten Datenchips überprüft, dokumentiert und kontrolliert, Abweichungen werden bestraft. Das Verhältnis zum eigenen Körper ist instrumentell; Selbst-Optimierung und gesellschaftliche Normalisierung gehen Hand in Hand, um jegliches gesundheitliche Risiko zu vermeiden.

Wozu nicht zählt, dass der Antiheld ihres ersten, 2001 erschienenen Romans »Adler und Engel« ein verkokster Rechtsanwalt ist. Eher schon, dass in ihrem zweiten Roman »Spieltrieb«, der vordergründig eine Erpressungsgeschichte im Schulmilieu erzählt, die Zeh bewegende Frage nach dem Werteverlust rechtsphilosophisch grundiert wird. Als Essayistin hat Zeh sich kritisch mit der Sprache des Rechts als »Idiom der Macht« auseinandergesetzt. Solcherlei Exkurse, bei denen ein wenig Sachkenntnis zumindest nicht hinderlich ist, können schnell in den Verdacht der Inkompetenzbewirtschaftung geraten, für die als Experte einst der »kritische Intellektuelle« unterwegs gewesen ist. Juli Zeh hingegen ist zweifellos vom Fach, was auch hilfreich sein kann für eine Schriftstellerin, die öffentlich für die »im weitesten Sinne politische Rolle« der Literatur eintritt. SchulLV. Wobei sie dieses Selbstverständnis nicht aus ihrem Spezialistentum herleitet, sondern aus dem »gesunden Menschenverstand« und dem »Herz im Leib«.